Der gewaltsame Tod eines Maliers in Italiens Süden bringt die prekäre Lage der Erntehelfer erneut ans Licht. Sie haben meist nur das, was sie am Leib tragen, schlafen in Baracken aus Karton, Wellblech und alten Kunststoffsäcken. Beim Sammeln von Material für eben eine dieser Baracken wurde der Somalier Soumaila Sacko erschossen. Die Kugel, die ihn am Kopf traf und sofort tötete, wurde aus über sechzig Metern Entfernung abgeschossen. Ein weiterer Sammler wurde am Bein verletzt. Das Ganze geschah in der Nähe einer verlassenen Ziegelei bei San Calogero in Kalabrien.
Sacko kam vor acht Jahren nach Italien und verfügte über eine reguläre Aufenthaltsgenehmigung. Meist arbeitete als Erntehelfer in der Gegend um die Kleinstadt Gioia Tauro, zwischen den Provinzen Reggio Calabria und Vibo Valentia. Neben der Arbeit engagierte er sich in der Gewerkschaft „Unione Sindacale di Base“ (USB) für die Rechte der Erntehelfer der Region. Was so schön als Tagelöhner bezeichnet wird, ist in Wirklichkeit eine Form moderner Sklaverei. Sich dagegen zu engagieren kann in einigen Gegenden gefährlich werden. So ist es nicht verwunderlich, dass zuerst von einem Mafiamord ausgegangen wurde. Doch das Warum ist weiterhin ungeklärt. Zwar wird die Gegend von der „Ndrangheta“ kontrolliert, doch auch eine Racheaktion aufgrund des Diebstahls des Blechs, ist nicht ganz auszuschließen. Und dann bleibt noch die Rassismusfrage.
Im Moment ermittelt die Polizei gegen einen lokalen Bauern, der mit den früheren Besitzern der Ziegelei verwandt sein soll, so die Tageszeitung „La Repubblica“. Diesersoll keine direkte Verbindung mit der Mafia aufweisen. Die Fabrik war geschlossen worden, weil dort 135.000 Tonnen Giftmüll entdeckt wurden.
Die etwa 3500 Erntehelfer in der Gegend um Gioia Tauro sind überwiegend afrikanische Migranten. Sie sammeln Obst, hauptsächlich Zitrusfrüchte und Kiwis, oder Oliven. Und obwohl sie eine Aufenthaltsgenehmigung haben, arbeiten die meisten schwarz. – Warum? – Nun die Preise auf dem nationalen und internationalen Markt müssen niedrig bleiben. Die Mafia rekrutiert die Erntehelfer aus dem Heer der gestrandeten Migranten, denen im Durchschnitt 25 Euro am Tag versprochen werden, was diese jedoch selten erhalten. In der Regel werden die Migranten vier Tage die Woche beschäftigt, etwa 30 Prozent arbeiten dagegen jeden Tag.
„Wohnsituation“ – wenn man es so nennen will
Auch die Wohnsituation ist miserabel – und teilweise unbeschreiblich. Die Migranten leben in Zeltstädten oder in Baracken. Hygienische Mindeststandards – was ist das? Davon hat hier noch niemand gehört. Der ermordete Sacko wohnte in einer Zeltstadt bei San Ferdinando. Diese hätte eigentlich im Jänner wegen eines Brandes (es gab eine Tote) geschlossen werden müssen. Aufgrund der schlechten Wohnbedingungen werden die Menschen in den Zeltlagern häufig krank. Die Betroffenen leiden in den meisten Fällen an Krankheiten der Atemwege und des Verdauungstraktes.
Ein Video des ARD vom vergangenen Jahr macht die Situation deutlich:
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Die Regierung ist woanders …
Obwohl immer wieder Proteste von den Migranten organisiert werden, nimmt die Regierung davon kaum Notiz. Im Moment ist die Ermordung Sackos aufgrund des politischen Klimas in Italien besonders brisant. Fast zeitgleich mit seiner Tötung am 2. Juni hatte der frischgebackene Innenminister und Lega-Nord-Chef Matteo Salvini angekündigt, das „Vergnügen“ für illegale Migranten und Asylsuchende sei „vorbei“.
Am Montag demonstrierten Freunde und Kollegen Sackos in San Ferdinando für bessere Bedingungen und gegen Rassismus. Am Dienstag fanden Protestaktionen in Neapel und Turin statt. Dieses Wochenende sollen weitere Proteste unter anderem in Mailand geplant sein. Die Stellungnahmen der neuen Regierung, die aus einer Koalition zwischen der post-ideologischen Movimento 5 Stelle (M5S) und der rechtspopulistischen Lega besteht, waren ziemlich begrenzt. Eine persönliche Stellungnahme von Arbeitsminister Luigi Di Maio (M5S) lässt noch auf sich warten. Der neue Premierminister Giuseppe Conte (M5S) adressierte am Dienstag einen „tragischen Vorfall“ in seiner Rede vor dem Vertrauensvotum im Senat. Die Lage der Arbeiter auf den Feldern sei „unwürdig“. – Und der gesamte Senat applaudierte für die Aussagen.
Keine Landwirtschaft ohne Ausbeutung
Die Ausbeutung der Migranten in der Landwirtschaft Italiens ist kein neues Phänomen und beschränkt sich nicht nur auf den Süden. Bereits in den 1980ern-Jahren waren die Anfänge in den auf den von der Camorra kontrollierten Tomatenfeldern in Kampanien zu erkennen. Und die Lohnsklaverei ist bis dato ein wesentlicher Bestandteil der italienischen Intensivlandwirtschaft. Ohne sie gäbe es in Europa‘s Supermärkten kein billiges Obst und Gemüse aus Italien. Und jeder von uns, der diese Waren kauft, beteiligt sich und verdient mit an der Ausbeutung.
Quelle: Francesco Collini, 7.6.2018, Der Standard