Was viele der Menschen, die sich mit der Materie Menschenhandel und Migration seit Jahren auseinandersetzten, vermuten, scheint nun mit einem weiteren Beweis untermauert zu sein – die Industrie des modernen Sklavenhandels.
Cécile Allegra, Autorin eines Dokumentarfilms mit dem Titel „Reise in die Barbarei“, der über die fürchterlichen Zustände am Horn von Afrika berichtet, hat im Zuge ihrer Recherchen noch andere besorgniserregende Hinweise entdeckt.
Schon seit einiger Zeit ist bekannt, dass ein großer Teil der aus Afrika Flüchtenden aus Eritrea kommt. Eritrea – das ist eine Art Nordkorea am Horn von Afrika, denn seit Jahren zählt das Land zu den abgeschottesten und rätselhaftesten Staaten der Erde. In Eritrea herrsche ein „totalitäres Regime“, dessen „Ausmaß und Umfang nahezu beispiellos“ sei, heißt es in einem von der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen veröffentlichten Bericht. In dem Kleinstaat am Horn von Afrika käme es zu „außergerichtlichen Hinrichtungen, weit verbreiteten Folterungen, sexueller Sklaverei und Zwangsarbeit – quasi ein KZ, das auf den ganzen Staat ausgedehnt ist.
Kein Wunder also, dass sich monatlich etwa 5000 Eritreer nach UN-Angaben aus ihrer Heimat stehlen: Denn sie müssen die Grenze illegal passieren, weil keiner einen Pass erhält, der den sogenannten Nationalen Dienst, eine Art Arbeits- und Wehrdienst, nicht abgeschlossen hat – und dieser ist zeitlich unbegrenzt. Neben den Syrern sind es vor allem Eritreer, die zu Zigtausenden in Richtung Europa strömen und dabei zu Hunderten im Mittelmeer ertrinken. Von „Reporter ohne Grenzen“ wird das Land außerdem als das für Journalisten gefährlichste Pflaster der Welt geführt: Regelmäßig sollen hier Berichterstatter eingesperrt werden oder sogar spurlos verschwinden.
Wie die Flucht dann von statten geht, schildert Cécile Allegra: „Der Parcours ist mittlerweile sehr genau bekannt. Die jungen Leute, die vor dem Militär- und Arbeitsdienst fliehen; denn in Eritrea werden alle, die die Schule fertig haben, umgehend zu militärischem Drill gezwungen, mit Blick auf einen immer möglichen Krieg gegen Äthiopien. Ein schreckliches Los, denn wenn man einmal in der Armee ist, weiß man nicht, wann man wieder herauskommt. Um dem zu entgehen, fliehen diese jungen Leute zunächst einmal zur Grenze – und schon dafür müssen sie jemanden bezahlen, der sie dahin bringt. Kaum haben sie es über die Grenze geschafft, müssen sie schwer zu erklimmende Gebirge überwinden und werden von bewaffneten Banden bedroht. Schaffen sie es aber auf nahezu wunderbare Weise in ein Flüchtlingslager im Sudan, dann drohen sie dort oft Opfer von Kidnappern, die für Menschenhändler arbeiten, zu werden.“
Bis vor kurzem wurden viele Eritreer – und Migranten überhaupt – auf der ägyptischen Halbinsel Sinai gefoltert; Banditen versuchten dadurch Lösegeld von den Verwandten in den afrikanischen Herkunftsländern zu erpressen. Allegra hatte bei ihren Recherchen auf dem Sinai 2012 zunächst ein und dann sogar Dutzende von Foltercamps entdeckt.
„Aber jetzt gibt es auf dem Sinai keine Folterhäuser mehr. Dafür hat eine groß angelegte Operation der ägyptischen Armee gesorgt, die Infiltrationen islamistischer Terroristen vom Gazastreifen aus unterbinden sollte. Seitdem gibt es diesen Menschenhandel zum Sinai nicht mehr, stattdessen führt er jetzt in die Nähe von Alexandria, nach Libyen und in den Sudan.“
Bei den Arbeiten an ihrem Dokumentarfilm ist Allegra auf eine zynische Industrie des Menschenhandels gestoßen. Diejenigen, die durch Nordafrika fliehen und nach Europa wollen und skrupellosen Ausbeutern in die Hände fallen, steht ein schweres Schicksal bevor: „Alle Entführten werden zunächst in eine Art Zwischenlager gebracht. Man kann die auf Google-Earth sehen: riesige Lagerhallen –oft am Rand einer Nordafrikanischen Stadt. Drinnen sind die Entführten – wie die Sklaven vor 150 Jahren – angekettet und warten auf ihre Deportation. Das ist eine Art Markt wie wir ihn aus der Geschichte der Sklaverei kennen: Die Menschenhändler gehen dort herum und sagen: Ich nehme zehn, ich nehme dreißig… Von diesem Zwischenlager starten dann Lastwagenkolonnen in verschiedene Richtungen; und immer, wenn sie auf eine Straßensperre, eine Grenze oder Polizisten treffen, werden die geschmiert. Und dieses schlimme Schicksal trifft Abertausende von Menschen. Wenn wir die dann später sehen, wie sie versuchen, in einem Boot über das Mittelmeer zu kommen, dann sagen wir vielleicht: Die armen Leute! Aber wir ahnen gar nicht, was die alles schon hinter sich haben. Und warum es ihnen gar nicht mehr als so ein großer Schritt erscheint, in ein Boot zu steigen.“
Doch der Horror ist hier noch nicht zu Ende, denn bezahlen müssen Familie oder Verwandte weiterhin in den Heimatländern, wo sie oft mit falschen Informationen durch die Schlepperorganisationen versorgt werden. Cécile Allegra ist bestürzt darüber, welchen Gefahren Migranten und Flüchtlinge in Nordafrika ausgesetzt sind. „Das, was ich gesehen habe, ist keine vorübergehende Barbarei. Das ist ein organisiertes System, das mit dem internationalen Terrorismus vernetzt ist und Verbindungen zur Mafia hat. Das ist ein sehr beunruhigendes Phänomen. Wir Europäer sind sehr auf die Frage der Sicherheit fixiert; wir fragen uns, ob unter diesen Migranten nicht auch Kriminelle und Terroristen sind, und mit Sicherheit ist das auch der Fall. Aber wir retten uns nicht dadurch, dass wir unsere Grenzen dicht machen; stattdessen machen wir uns zu Komplizen eines sehr schwerwiegenden Verbrechens.“
Quellen:
Johannes Dieterich (01.08.2015): Eritrea: Das Land, das sie Hölle nennen. Profil.at. Online verfügbar unter http://www.profil.at/ausland/eritrea-land-aus-dem-die-meisten-fluechtlinge-kommen-5783764, zuletzt geprüft am 19.01.2017.
MAG (2015): Idris erzählt von seiner Flucht aus Eritrea über das Mittelmeer in die Schweiz. Hg. v. AMEPRESS – German Press Blog for Africa and Middle East. Internet. Online verfügbar unter https://amepres.wordpress.com/2015/04/27/idris-erzahlt-von-seiner-flucht-aus-eritrea-uber-das-mittelmeer-in-die-schweiz/, zuletzt geprüft am 19.01.2017.
Nicole Hirt (14.06.2016): Flucht vor der Versklavung. Zeit-Online. Online verfügbar unter http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2016-06/eritrea-fluechtlinge-zwangsarbeit-sklaverei-eu, zuletzt geprüft am 19.01.2017.
Radio Vatikan (2017): Erschütternd: Einblicke in die Industrie des Menschenhandels. Hg. v. Radio Vatikan. Internet. Online verfügbar unter http://de.radiovaticana.va/news/2017/01/18/ersch%C3%BCtternd_einblicke_in_die_industrie_des_menschenhandels/1286480, zuletzt geprüft am 19.01.2017.