Modelle politischer Teilhabe für Arme und Bedürftige

Die päpstliche Akademie der Sozialwissenschaften denkt auf Anregung von Papst Franziskus über neue Modelle politischer Teilhabe für Arme und Bedürftige nach. Bei ihrer aktuellen Sitzung im Vatikan prüften die Angehörigen der Akademie unter Präsidenten Margaret Archer verschiedene Modelle. „Die meisten von uns haben begriffen, dass die Tage der alten sozialen Bewegungen heute vorbei sind“, referierte die britische Soziologin am Dienstag vor Journalisten im Vatikan. Sie würdigte die Grün-Bewegung als historisches Beispiel einer geglückten Integration von neuem, ökologischem Gedankengut in die Politik. Auch die katholische Kirche sei im politischen Bereich zuletzt „weise“ vorgegangen. „Europa bricht auseinander, siehe Brexit und Frexit, und das ist, was die Kirche getan hat: Sie versuchte in dieser Lage (mit dem Anliegen der politischen Teilhabe Armer, Anm.) keine Einflussnahme auf nationale Regierungen, sondern sie suchte den Schulterschluss mit internationalen Organismen wie der UNO oder der Internationalen Arbeitsorganisation ILO“. Auf diese Weise sei es etwa geglückt, das Ziel der Ausrottung von Menschenhandel und Zwangsarbeit in der „Agenda 2030“ festzuschreiben, die 17 UN-Ziele für eine bessere Welt auflistet.

Leben ist mehr als Überleben

Im 19. und 20. Jahrhundert habe sich in Europa und Nordamerika als Antwort auf verarmte Schichten eine eingeschränkte, materielle Form der Fürsorge herausgebildet, sodass die grundlegenden Bedürfnisse der Ärmsten unter den Armen nach Nahrung und Kleidung abgedeckt wurden. „Das hält aber nicht lange vor, und es verhilft den Menschen nicht dazu, an der Gesellschaft teilzuhaben“, so Archer, „sondern bestenfalls zu überleben. Leben ist mehr als Überleben“. Auch Papst Franziskus habe das bloße Verteilen von Gütern an Arme als unzureichend abgelehnt.

Gewerkschaften brauchten lange, um sich zu etablieren

In Europa hätten Gewerkschaften und Handelsunionen Jahrzehnte gebraucht, um sich als politische Partner zu etablieren und an der politischen Entscheidungsfindung zu beteiligen, strich Archer hervor. An eine große gestaltende Kraft heutiger Protestbewegungen glaubt die Soziologin nicht:

„Diese Protestbewegungen, die über die sozialen Medien verstärkt werden, sind kurzlebig und vielleicht nicht einmal wirkliche soziale Bewegungen. Die involvierten wirtschaftlichen Vorgänge sind zu komplex, um sie auf einfache Slogans herunter zu brechen. Sicher, Sie können ein Schild hochhalten, auf dem steht: wir sind die 99 Prozent, die wenig oder gar nicht vom wachsenden Wohlstand profitieren. Das sind Straßenproteste, aber noch keine Lösungen.“

An Papst Franziskus ist im übrigen nach Einschätzung Margaret Archers ein hervorragender Soziologe verloren gegangen. „Wo immer er hingeht auf seinen Reisen, wor immer er war: er ist ein sehr genauer Beobachter. Dinge fallen ihm auf. Und dann legt er seinen Finger auf diese Punkte.“ So habe er die päpstlichen Akademie der Wissenschaft und der Sozialwissenschaft auf das Thema Menschenhandel angesetzt, und zuletzt auch auf das Thema politische Teilhabe von Benachteiligten. 

Quelle: Radio Vatikan

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